Deutschlands erfolgreichster Trabrennfahrer Heinz Wewering über Hamburgs Umbaupläne, die Krise seines Sports und sein Gefühl für Pferde.

Hamburg. Heinz Wewering, 63, ist der weltweit erfolgreichste Trabrennfahrer aller Zeiten. Aktuell sind 49.378 Fahrten und 16.825 Siege notiert. Der gebürtige Münsteraner, der als drittältestes von neun Kindern aufwuchs, war viermal Europameister, zweimal Weltmeister und achtmal Derbysieger. 29-mal trug er den Goldhelm des deutschen Champions der Berufsfahrer; 28-mal war er erfolgreichster Trainer des Jahres. An diesem Wochenende startet Wewering anlässlich des Grand-Prix-Wochenendes auf der nach seiner Meinung „schönsten Trabrennbahn Deutschlands“ in Bahrenfeld.

Hamburger Abendblatt: Herr Wewering, seit 48 Jahren fahren Sie im Kreis. Macht’s noch Spaß?

Heinz Wewering: Ja, sonst würde ich es nicht mehr machen. Und ich fahre nicht nur im Kreis, sondern habe es mit immer anderen Lebewesen zu tun. Es gibt also tagtäglich neue Herausforderungen. Aus jungen Pferden Champions zu machen ist eine Kunst, die mich nach wie vor begeistert.

Bei annähernd 50.000 Fahrten im Sulky haben Sie fast 17.000-mal gewonnen. Können Sie sich noch über einen Sieg freuen?

Wewering: Ich habe mir geschworen: Wenn ich mich über Siege nicht mehr freue, höre ich auf zu fahren. Das Feuer in mir lodert nach wie vor.

Die großen Zeiten des deutschen Trabrennsports sind passé. Früher standen Tausende an den Rails und jubelten Ihnen zu; heute sind es manchmal kaum mehr als ein paar Dutzend. Stimmt Sie der Niedergang eines Traditionssports traurig?

Wewering: Das ist in der Tat sehr deprimierend. Alle Aktiven, auch ich, suchen nach dem Punkt: Was kann man verbessern? Deutschland ist ein Pferdeland und zudem wirtschaftlich stark. Warum funktioniert unser schöner Sport hier nicht mehr?

Und?

Wewering: Offensichtlich gibt es eben doch erhebliche wirtschaftliche Probleme. Für Pferdebesitzer handelt es sich um ein Freizeitvergnügen. Wenn das Geld nicht mehr so locker sitzt, speckt man zuerst am Hobby ab. Weniger Besitzer und weniger Pferde bedeuten auch weniger gute Rennen und letztlich weniger Zuschauer. Wer am Toto früher 50 Euro verspielen konnte, hält sein Geld heute eher zusammen. Das ist eine verhängnisvolle Spirale, die nach unten führt.

Zahlreiche Rennbahnen mussten schon schließen. Züchter können nicht mehr vom Pferdeverkauf leben. Existenzen stehen auf dem Spiel.

Wewering: Das ist in der Tat dramatisch. Die Zucht war und ist ein landwirtschaftlicher Zweig. Dennoch gibt es keine Unterstützung aus dem Agrartopf der EU. Man darf die Größenordnung nicht unterschätzen: Es handelt sich um einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor mit Tausenden Arbeitsplätzen.

Auch in Bahrenfeld ist die Lage trostlos: Von diesem Wochenende abgesehen gibt es auf der anerkannt guten Hamburger Bahn kaum Höhepunkte. Die Wettumsätze sind zusammengebrochen. Ist ein Ende in Sicht?

Wewering: Die Anlage am Volkspark ist die schönste Trabrennbahn Deutschlands. Warum aber bleibt das Publikum weg? Wird ausreichend Werbung gemacht? Mangelt es am Event-Charakter das gesamte Jahr über? Normale Renntage haben kaum Highlights. Vielleicht liegt der Niedergang am ungesunden Wettsystem.

Wie meinen Sie das?

Wewering: Das verwettete Geld kommt bei uns im Sport nicht an. Hierzulande werden jährlich zwischen 350 und 500 Millionen Euro am Totalisator umgesetzt, aber 90 Prozent davon fließen an irgendwelche Wettannahmestellen im Ausland. Das ist zwar eigentlich verboten, passiert aber trotzdem. Es ist tödlich für den Sport.

Gibt es begründete Hoffnung?

Wewering: Ich glaube und hoffe, dass unsere Durststrecke überstanden ist. So viele Menschen haben Spaß an Pferden. Traben ist eine herrliche Sportart. Das Produkt ist gut, wird aber schlecht vermarktet. Galopper und Traber müssten an einem Strang ziehen und eine gemeinsame Vertreibergesellschaft mit einer einheitlichen Wettschiene gründen. Zur Rettung brauchen wir eine Außenwette, die zentral betrieben wird. Das an den Wettschaltern investierte Geld muss im Kreislauf unseres Sports bleiben. Dann läuft’s auch wieder.

Der Hamburger Senat favorisiert zur Rettung des Pferdesports eine Doppelrennbahn für Traber und Galopper. So recht in die Hufe jedoch kommt keiner.

Wewering: Darüber gesprochen wird schon lange. Ich glaube ohnehin nicht, dass eine Doppelrennbahn funktioniert. Die Planungen sehen außen das Geläuf für die Galopper, innen für Traber vor. Das ist doch publikumsfeindlich, wenn die Zuschauer so weit weg vom Geschehen sind. Das kann nicht gut gehen – wie Beispiele in Europa und aller Welt beweisen.

Der Verkauf des Bahrenfelder Grundstücks zugunsten des Wohnungsbaus ist praktisch beschlossene Sache. Wie wollen Sie das Problem lösen?

Wewering: Mein Traum ist es, dass die Betreibergesellschaft Winrace (die Milliardärsfamilie Herz, d. Red.) das Areal kauft und dort weiter Trabrennen veranstaltet. Eine andere Lösung ist meines Erachtens nicht in Sicht. Es wäre doch Quatsch, anderswo zu bauen, wenn in Bahrenfeld gerade Millionen investiert wurden.

Nun zu den Pferden. Wer fast 17.000-mal gewinnt, muss ein besonderes Händchen für Tiere haben. Liegt das in der Familie?

Wewering: Bestimmt nicht. Mein Vater war Bahnangestellter in Münster mit neun Kindern. Im Vorort Sprakel gab es viele Pferde. Sie haben mich von Kindheit an fasziniert. Für einen Jockey war ich zu groß. Also habe ich mein Leben den Trabern verschrieben.

Und das Fingerspitzengefühl an der Fahrleine?

Wewering: Das ist schwer zu erklären, weil ich darüber nicht nachdenke. Der eine kann Klavier spielen, der andere vielleicht auch – aber es klingt immer ganz anders. Bei mir läuft alles nach Gefühl. Da gibt es keinen Trick und auch kein Rezept.

Man nennt Sie einen Zauberer im Sulky.

Wewering: Das ist natürlich Blödsinn. Aber ein bisschen Pferdeflüsterer muss man schon sein. Wer keine Begabung für den richtigen Umgang mit dem Lebewesen Pferd hat, wird niemals ganz nach vorne fahren. Man muss auf das Tier zugehen und sein Vertrauen gewinnen. Man muss spüren, wie ein Pferd tickt. Aber wie gesagt: Ich denke gar nicht darüber nach.

Welchen Anteil hat der Fahrer am Sieg?

Wewering: Das hängt vom Ergebnis ab. Aber mal im Ernst: Die Kunst ist es, das Beste aus den Chancen zu machen. Auf den Rennverlauf kommt es an. Erfahrung macht eine Menge aus. Es hilft, wenn du über Jahre hinweg viele Fehler gemacht hast. Und man muss immer wieder spontan Ideen haben. Wer das richtige Gespür hat, ist letztlich vorn. Das ist ganz einfach.

Und Bescheidenheit ist eine Zier. Stimmt es, dass Sie ein Pferd mit geschlossenen Augen am Hufgetrappel erkennen?

Wewering: Das ist etwas übertrieben und hängt natürlich vom Untergrund ab. Aber wenn ich in meiner Umgebung ein Pferd von hinten kommen höre, sage ich mir schon: Das könnte er sein. Die Trefferquote beträgt 95 Prozent.

Sind Sie abergläubisch?

Wewering: Im Prinzip nein. Natürlich habe ich meine Lieblingshandschuhe, das ist klar. Es gibt nach siegreichen Serien auch kleine Rituale. Aber ich habe keinen Talisman am Mann oder vergrabe keine Glücksbringer auf der Bahn. Keine Sorge!

Ihre Pferde haben in Jahrzehnten zig Millionen verdient. Sind Sie ein wohlhabender Mann?

Wewering: Was heißt das? Steinreich bin ich nicht. Das Leben ist ein Wellental, auch finanziell. Ich habe eine Menge in die Zucht und in den Trainingsbetrieb investiert. Ich führe ein gutes Leben und bin zufrieden. Es entspricht nicht meiner Art, groß über Materielles nachzudenken. Ich liebe meinen Beruf. Damals wie heute.

Ende der 80er-Jahre besaßen Sie einen Trainingsstall mit 170 Boxen, eigener Übungsbahn, einer Schmiede und 24 Mitarbeitern. Trauern Sie diesen großen Zeiten hinterher?

Wewering: Damals gab es mehr sportliche Höhepunkte, mehr Geld, mehr Pferde, mehr Rennen, viel mehr Stress. Heute trainiere ich statt 200 knapp 30 Traber und bin genauso zufrieden. Alles ist ein wenig ruhiger geworden. Ich kann mehr genießen, habe mir jedoch die Spannung im Leben erhalten. Mensch, was willst du mehr?

Die Altersgrenze von 70 Jahren für Berufsfahrer wurde gerichtlich aufgehoben. Sie sind 63. Wie lange wollen Sie noch im Kreis fahren?

Wewering: Solange es Freude und Erfüllung bringt. Allerdings will ich mit 75 nicht mehr über die Bahn jagen.

Im Grand Prix am Sonntag in Bahrenfeld haben Sie kein Pferd am Start. Warum?

Wewering: Weil ich kein herausragendes Pferd parat habe. Die Ausländer sind unschlagbar. In Frankreich gibt es 15.000 Zuchtstuten, in Schweden 7000. In Deutschland sind es nur gut 500. Ich müsste also im Schnitt 30 Jahre lang züchten, um so erfolgreich zu sein wie die Franzosen in zwölf Monaten. Und damit sind wir wieder beim Thema.